Slumdog Millionaire
Danny Boyle, Loveleen Tandan, India, UK, USA, 2008o
Jamal Malik, an 18 year-old orphan from the slums of Mumbai, is just one question away from winning a staggering 20 million rupees on India’s “Who Wants To Be A Millionaire?” But when the show breaks for the night, police arrest him on suspicion of cheating; how could a street kid know so much? Desperate to prove his innocence, Jamal tells the story of his life in the slum where he and his brother grew up, and of Latika, the girl he loved and lost.
Danny Boyles Slumdog Millionaire ist ein echter Volltreffer. Eine atemlose, spannende Geschichte, herzzerreissend und erheiternd zugleich, über einen Waisenjungen aus Mumbai, der durch seine sprühende Intelligenz vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigt. Die universelle Anziehungskraft des Films wird Millionen von Kinobesuchern zum ersten Mal das wahre Indien zeigen. Die Oberfläche des Films ist so schillernd, dass man kaum merkt, wie traditionell er darunter ist. Aber es ist die verborgene Struktur, die uns durch die Geschichte zieht wie eine grosse Lokomotive einen kurzen Zug.
Roger EbertDas Drehbuch riecht nach Creative-Writing-Kurs: Die Höhepunkte kommen genau dann, wenn man sie erwartet. Aber zum Glück hat Danny Boyle das romantische Underdog-Märchen mit Drive, Witz und Dramatik in Szene gesetzt; M.I.A. liefert den coolen Sound dazu, und vieles ist so übertrieben wie in einem Comic. Das reale Elend geht ob des Ghetto-Chics bald vergessen, wir sitzen schliesslich im Wohlfühlkino. Aber das macht für einmal richtig Spass. (Auszug)
Pascal BlumMis en image par un chef op déchaîné, le film en fait trop, mais il est difficile de résister à la fureur flashante de son récit-kaleidoscope.
Didier PéronMise sous adrénaline grâce à un découpage nerveux et un mixage sonore agressif, la chronique tiers-mondiste obtient sans gêne son droit à un épilogue dansé et au spectacle total.
Christophe BeneyGalleryo
Die fantastische Geschichte eines Slumkinds aus Mumbai hat Danny Boyle mit Schwung und Witz verfilmt.
Wie der Junkie in «Trainspotting» ins ekligste Klo Schottlands hinabtaucht, bleibt unvergesslich. Nun stösst der britische Filmer Danny Boyle seinen Helden abermals in die Kloake. Das Waisenkind Jamal (Dev Patel) wird im Shantytown von Mumbai in die Latrine gesperrt. Ausgerechnet, als in der Nähe sein Filmidol Autogramme gibt. Jamal atmet tief ein, hält sich die Nase zu und springt in die Gülle. Komplett verdreckt holt er die Unterschrift.
Später macht Jamal aus solchen Erfahrungen Gold. Als Teenager und Callcenter-Knecht nimmt er an der indischen Version von «Wer wird Millionär?» teil. Als er den Namen des Filmstars nennen muss, kennt er ihn. Er weiss auch die nächste Antwort. Und die danach. Der Moderator (Anil Kapoor als toller Widerling) stutzt. Woher weiss ein «slumdog», ein Ghettokind, alle Antworten? Hat Jamal geschummelt?
Bevor Jamal die Million abräumen kann, prügelt die Polizei die Wahrheit aus ihm heraus. Wir erfahren in Rückblenden, wie er zu seinem Wissen gekommen ist. Er hat es nebenbei aufgeschnappt, als er mit seinem Bruder und seiner Sandkastenliebe (Freida Pinto) durch halb Indien irrte, Fremdenführer spielte und beinahe missbraucht wurde. Alles, was Jamal weiss, ist ihm passiert: Die TV-Show stellt die Fragen seines Lebens. «It’s bizarrely plausible», staunt Jamals Folterer; es ist auf bizarre Art glaubwürdig.
Das kann man von Simon Beaufoys Drehbuch nicht behaupten. Es riecht nach Creative-Writing-Kurs: Die Höhepunkte kommen genau dann, wenn man sie erwartet. Aber zum Glück hat Danny Boyle das romantische Underdog-Märchen mit Drive, Witz und Dramatik in Szene gesetzt; M.I.A. liefert den coolen Sound dazu, und vieles ist so übertrieben wie in einem Comic. Das reale Elend geht ob des Ghetto-Chics bald vergessen, wir sitzen schliesslich im Wohlfühlkino. Aber das macht für einmal richtig Spass.
In «Slumdog Millionaire» gewinnt ein indischer Waise in der Spielshow «Wer wird Millionär?» den Hauptpreis - und die Liebe seines Lebens dazu. Im «züritipp»-Interview erklärt Regisseur Danny Boyle, warum er an die Menschen glaubt, indischen Bettlern aber kein Geld gibt.
Danny Boyle, Gratulation zum Gewinn der Golden Globes! Hätten Sie je damit gerechnet?
Nein, auch wenn diese Antwort dem gängigen Klischee entspricht. Tatsächlich hatte es so ausgesehen, als würde «Slumdog Millionaire» nur auf DVD erscheinen, bis Fox Searchlight die Rechte kaufte und sagte: «Wir bringen ihn jetzt heraus, seid ihr bereit?» Ich bin froh, dass wir es gerade noch geschafft haben.
Thriller, Komödie, Horror, Bollywood - Sie wechseln ständig die Genres. Gibt es einen gemeinsamen Nenner?
Tatsächlich möchte ich immer etwas Neues machen, aber es gibt viele Anknüpfungspunkte zwischen meinen Filmen: Die Obsession mit Geld gehört sicher dazu. Stilistisch will ich so aufregend wie möglich sein. Kino ist für mich kein entspanntes oder kontemplatives Erlebnis, alles muss hier und jetzt passieren.
Was hat Sie am Drehbuch zu «Slumdog Millionaire» gereizt?
Nun, die interessantesten Phänomene der letzten zehn Jahre entstanden aus kulturellem Sampling. Die Welt wird kleiner, hermetisch abgeriegelte Kunstformen gibt es kaum noch. Der Realismus in «Slumdog Millionaire» ist typisch britisch - Bollywood gibt sich nicht mit den Slums ab. Doch die Geschichte ist durchdrungen vom Fantastischen.
Wie war Mumbai als Drehort?
Mumbai ist die Zukunft. Obwohl es kaum genügend Ressourcen gibt, wächst die Stadt unaufhörlich. Natürlich gibt es punktuelle Ausbrüche von schrecklicher Gewalt, doch die meiste Zeit ist das Leben entgegen aller Wahrscheinlichkeit friedlich. Ich liebe Städte. Sie sind der beste Ausdruck unserer Zivilisiertheit.
Das soziale Gefälle in Ihrem Film ist brutal. Wie gehen Sie damit um?
Gar nicht, das ist Sache der Inder. Wissen Sie, jeden Tag, wenn ich das Hotel verliess, begegnete mir ein Bettler ohne Hände. Ich wollte dem Mann Geld geben, doch alle warnten mich: Mein Almosen würde nur den Boss der Bettlerbande bestärken, und der hat die Hände selbst abgeschnitten. So schwer es mir fiel, ich musste diesen moralischen Horror aushalten. Die Inder werden dafür selbst eine Lösung finden - oder auch nicht.
Ist ein Fernsehformat wie «Wer wird Millionär?» vor diesem Hintergrund nicht zynisch?
Es gibt mehr Millionäre in Indien als zum Beispiel in Grossbritannien, warum sollte die Show im Westen weniger zynisch sein? Andererseits wurde die Gewinnsumme verdoppelt, damit der Sieg weiterhin unerreichbar scheint. Das ist wesentlich für die indische Kultur. Deshalb werden Filmemacher dort auch als «Traumhändler» bezeichnet: Nur das Unmögliche zieht an.
Zementiert das indische Kastensystem diesen Fatalismus?
Bevor ich nach Indien reiste, dachte ich ebenfalls, dass die verschiedenen Kasten nur dazu dienten, die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen. Doch es ist viel komplexer. Inder verstehen Schicksal als ein Konzept, das nicht nur einschränkt, sondern auch befreit. Jeder kennt zwar seinen Platz, kann aber auf ein besseres Los hinarbeiten.
Wie wichtig ist eigentlich Religion in Ihren Filmen?
Ich bin grundsätzlich ein Optimist und glaube an die Menschen. Vielleicht kann das als religiöser Glauben missverstanden werden. Der Junge in meinem letzten Film «Millions» zum Beispiel sieht nur deshalb Heilige, weil er so erzogen wurde. Wenn er erwachsen ist, wird er seine Vorstellungskraft und Kreativität anderen Dingen zuwenden.
Für «Slumdog» arbeiteten Sie wieder mit Kindern und Laiendarstellern.
Professionelle Schauspielerei ist überbewertet. Fehlende Technik machen Laien mit Originalität wett. Natürlich sucht man sich die besten Darsteller vorher aus, aber auch dann ist ihr Spiel noch frisch. Die Herausforderung besteht darin, bereit zu sein, wenn auch die Kinder bereit sind - eben weil ihre Leistung einzigartig ist.
Die Suche nach dem Hauptdarsteller soll dagegen ziemlich kompliziert gewesen sein?
Oh ja, wir haben ganz Bollywood auf den Kopf gestellt, aber die jungen Männer sehen dort alle gleich aus: heldenhaft und muskelbepackt. Ich wollte einen Loser, einen Typen, der wirkt, als würde er in der Show untergehen. Da machte mich meine17-jährige Tochter auf Dev Patel aufmerksam, der in der britischen TV-Serie «Skins» spielte. Ich traf ihn, und er war fantastisch. Nur mussten wir seine überbehütende Mama loswerden. Also baten wir ihn, allein nach Mumbai zu reisen.
Wie reagieren Inder auf «Slumdog Millionaire»?
Wir haben den Film noch nicht in Indien gezeigt, aber die Reaktionen des indischen Publikums in England und den USA waren sehr gut. Wie die vollständig in Hindi synchronisierte Fassung ankommen wird, weiss ich allerdings nicht. Vielleicht ist sie nicht extrem genug, wie Bollywood-Star Anil Kapoor meint.
Sie haben noch nie ein Sequel gedreht. Wird es eine Fortsetzung zu «Trainspotting» geben?
Sehr wahrscheinlich, weil die Idee bestechend einfach ist: Die Fortsetzung handelt von denselben Charakteren, nur ist viel Zeit vergangen,alle sind dementsprechend älter.Ich warte nur noch darauf, dassdie Schauspieler kaputt genug aussehen.